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50 Jahre  Mietergruppe Hayn-/Hegestraße – Hausfest Juni 2023 und Festschrift

50 Jahre Mietergruppe Hayn-/Hegestraße – Hausfest Juni 2023 und Festschrift

Vor drei Jahren haben wir Einladungen zu einem Hausfest verschickt – und mussten es dann wegen Corona absagen.

Nun machen wir einen neuen Anlauf mit neuem Motto. Vor drei Jahren wollten wir an 50 Jahre Ersteinzug erinnern. Jetzt ist ein neues 50er Jubiläum, der Beginn unseres Kampfes gegen den Abriss, dran.

Vor 50 Jahren, im April 1973, fand die erste Hausversammlung statt. Zwei Monate darauf, im Juni 1973, zogen wir zur ersten Flugblattverteilung im Viertel los und stellten zum ersten Mal einen Infostand auf die Straße.

„Das nächste Opfer der Spitzhacke?“ stand auf dem Flugblatt. Zweieinhalb Jahre später, nach aufreibenden politischen und juristischen Kämpfen, war die Frage beantwortet. Die Baufirma, die das Haus abreißen wollte, gab auf, das Haus blieb stehen, wir blieben wohnen und machten mit dem neuen Vermieter einen Vertrag, der uns einzigartige, bis heute geltende Rechte gibt.

Diese Erfolgsgeschichte wird gefeiert, und zwar am

17. Juni 2023 ab 16 Uhr

Es wird am Nachmittag ein Kinderfest geben, am Abend ein Fassadentheater. Tuten & Blasen wird zu hören sein, ein DJ legt auf, und für Essen und Trinken ist auch gesorgt.

Erstes Flugblatt vom Juni 1973

Festschrift zum 50-jährigen Bestehen der Mietergruppe Hayn-/Hegestraße

Wir feiern am 17. Juni 2023 ein besonderes Jubiläum: Seit 50 Jahren besteht die Mietergruppe Haynstraße/Hegestraße und kämpft gegen Mietwucher und Bodenspekulation – nicht nur in der Haynstraße.

Das 1912 erbaute Haus Haynstraße 1-3/Hegestraße 41 und die Mietergruppe Haynstraße/Hegestraße sind nicht voneinander zu trennen: Ohne das Haus würde es die Mietergruppe nicht geben, ohne die Mietergruppe würde das Haus nicht mehr stehen.

Das großbürgerliche Haus ist eines der schönsten in Eppendorf. In den 1930er Jahren wurden die über 300 qm großen Acht- bis Zehnzimmer-Wohnungen geteilt. Im „Dritten Reich“ hingen angeblich die größten Nazi-Fahnen von den Balkonen. Das Haus überstand den Zweiten Weltkrieg unbeschädigt. Nach dem Krieg wurden Behelfswohnungen auf den Dachböden eingerichtet.

1969 kaufte die Firma IHA Hausbau das Haus für 1,5 Mio. DM mit dem Ziel, es abzureißen und durch einen gesichtslosen Neubau samt Tiefgarage mit 35 Wohnungen zu ersetzen (heute gibt es 22 Wohnungen). Die Firma erhielt eine Abrissgenehmigung. Den alten Mietern wurde allesamt gekündigt. Einige wehrten sich auf die damals allein mögliche Weise, über die Härteklausel (Alter und Krankheit). Um bis zum endgültigen Abriss und Neubau noch etwas Zwischenprofit zu machen, vermietete die IHA Hausbau ab 1970 insgesamt 14 Wohnungen über den AStA der Universität Hamburg an Studierende als mobile Zwischenmieter (Kündigungsfrist 14 Tage). So geriet eine bunte Mischung von linken Studenten in das Haus: Von den „Revis“ (im damaligen Sprachgebrauch) des SHB und der DKP über unabhängige Linke und Mitglieder diverser K-Gruppen bis zu den Spontis. Die meisten verfügten über große politische Erfahrung und vielfältige Talente.

Im Jahr 1973 schlossen sich die studentischen Mieter zusammen und bildeten die „Mietergruppe Haynstraße/Hegestraße“, zunächst mit dem Ziel, den Abriss des Hauses zu verhindern und ihr langfristiges Wohnen im Haus zu sichern.

In der 1973/1974 mit der Überschrift „Kampf dem Mietwucher und der Bodenspekulation – Für den Erhalt der Häuser Haynstraße/Hegestraße“ beschlossenen politischen „Plattform“ wurde jedoch festgelegt, den Kampf über die einen, unmittelbaren Interessen hinaus im Stadtteil und in Hamburg mit folgenden Losungen zu führen:

„Kampf den Mietwucher und der Bodenspekulation * Für Erhaltung und Sanierung zentraler Wohngebiete * Überführung von Grund und Boden in gesellschaftliches Eigentum!“

 Es war eine große Leistung der Mietergruppe, dass es ihr gelang, auf dieser politischen Grundlage erstmals in Hamburg eine Aktionseinheit der ansonsten völlig verfeindeten linken politischen Gruppierungen im Haus (und mit Wirkung darüber hinaus) herzustellen und durch politische Aktionen (Flugblätter, Info-Tische, Kundgebungen, Veranstaltungen etc.) den Abriss des Hauses schließlich zu verhindern. Eine entscheidende Rolle spielte dabei, dass zwischenzeitlich die Zweckentfremdungsverordnung erlassen wurde und es für den Abriss eines Hauses einer wohnungswirtschaftlichen Zweckentfremdungsgenehmigung bedurfte, die dann aufgrund unseres politischen Drucks von der Behörde verweigert wurde. Daraufhin kündigte die IHA-Hausbau sämtliche Mietverhältnisse. In der Zwischenzeit war allerdings das sog. „Soziale Mietrecht“ erlassen worden, das bei Wohnraummietverhältnissen eine Kündigung nur bei Vorliegen eines berechtigten Interesses zuließ.

Wir gewannen den Räumungsprozess in 1. Instanz beim Amtsgericht Hamburg vor der jungen, fortschrittlichen Amtsrichterin Konstanze Görres-Ohde (die später Landgerichtspräsidentin in Hamburg und dann Oberlandesgerichtspräsidentin in Schleswig wurde). Das Landgericht in der Berufungsinstanz war uns dagegen nicht wohlgesonnen: es hielt die Zweckentfremdungsverordnung für verfassungswidrig und legte den Fall dem Bundesverfassungsgericht vor. Dieses bestätigte jedoch die Verfassungsgemäßheit der Zweckentfremdungsverordnung, so dass das Landgericht gezwungen war, die Berufung der IHA Hausbau rechtskräftig zurückzuweisen.

Nach dieser doppelten Niederlage gab die IHA Hausbau auf und verkaufte Haus und Grundstück für 625.000 DM (!) an den Spekulanten Wolfgang Horst, der im Namen einer Schweizer Briefkastenfirma namens DORUSSA AG operierte.

Zu diesem Zeitpunkt standen sieben Wohnungen von damals 21 leer, die die IHA Hausbau nach Beginn der Auseinandersetzung mit uns nicht mehr vermietet hatte. Die Besetzung dieser Wohnungen war bereits bis ins Einzelne geplant, die Besetzer standen fest, auch die Presseerklärungen, die wir am Tag der Besetzung herausgeben wollten.

In diesem Moment kam es erstaunlicherweise zu Verhandlungen mit Wolfgang Horst über einen Mietvertrag. Sie mündeten nach monatelangen Verhandlungen schließlich in dem außerordentlichen Mietvertrag, den wir im Dezember 1975 mit 50 Mietern in Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (alle 50 hafteten gesamtschuldnerisch für die Verpflichtungen aus dem Mietvertrag) dann über das ganze Grundstück und die drei Häuser (nicht wohnungsweise) abgeschlossen haben.

Dieser Mietvertrag ist nach wie vor die Grundlage für ein selbstbestimmtes und solidarisches Leben in der Haynstraße. Wir können bestimmen, wer in diesem Haus wohnt und wer ein- oder auszieht. Die Miete war niedrig und konnte nur in geringem Maße erhöht werden (die ortsübliche Miete hatten wir ausgeschlossen). So zahlen wir heute noch eine Nettokaltmiete von 3,25 Euro pro qm (in der Umgebung werden 15,- bis 22,- Euro pro qm heute gezahlt). Der Vermieter verpflichtete sich zu einer Reihe von Instandsetzungsmaßnahmen, Modernisierungen können nur mit unserer Zustimmung durchgeführt werden und wir können unsere freie Meinung mit Transparenten und Schaukästen am Haus kundtun.

In dem Mietvertrag stand allerdings auch, dass das Mietverhältnis „unwiderruflich“ am 31.12.1990 enden würde. Diese Vereinbarung war jedoch unwirksam, wie die Gerichte in den ab 1991 folgenden Räumungsklagen feststellten.

1980 wurde das Haus hinter dem Rücken der Mietergruppe in 24 Eigentumswohnungen umgewandelt, der 1975 geschlossene Gesamtmietvertrag blieb davon jedoch unberührt. Es entstand eine Vermietergemeinschaft von 24 Wohnungseigentümern, die in Bezug auf die Kündigung des Gesamtmietverhältnisses aber nur einstimmig handeln können. Durch die Konstruktion des Gesamtmietvertrags war diesen Eigentümern eine Eigenbedarfs- oder Verwertungskündigung praktisch unmöglich, da sich nach dem Wortlaut des Gesetzes der Eigenbedarf bzw. der Verwertungsbedarf auf das ganze Grundstück bzw. Haus beziehen muss.

Nach Abschluss des Mietvertrages führten wir, obwohl wir selbst zumindest bis 1990 durch den Mietvertrag gesichert waren, den Mieterkampf über das Haus hinaus in Eppendorf und in ganz Hamburg fort. Wir initiierten die Gründung der Mieterinitiativen in Eppendorf und Eimsbüttel, berieten zahllose Mieter und machten Stadtteilarbeit. Auf Hamburger Ebene versuchten wir, die diversen Mieterinitiativen zu koordinieren und eine schlagkräftige Mieterbewegung in Hamburg aufzubauen (was letztlich nicht gelang).

Dennoch trug die Arbeit Früchte: Im Jahr 1976 entstand in Zusammenarbeit von Juristen aus unserem Haus sowie solchen aus linken Hamburger Organisationen das Buch „Mietrecht für Mieter – Juristische Ratschläge zur Selbsthilfe“. Die Erstauflage hat die Mietergruppe im Selbstverlag herausgegeben, 1977 bis 1992 erschien das Buch in mehreren überarbeiteten Auflagen im Rowohlt Verlag, danach bei Heyne. Insgesamt dürften mehr als 150.000 Exemplare verkauft worden sein.

Wir haben Zellen im Haus gebildet, die für bestimmte Straßenzüge in Eppendorf zuständig waren. Dort wurden Veranstaltungen für die dort lebenden Mieter gemacht. Wir verteilten in Eppendorf regelmäßig Flugblätter in einer Auflage von 10.000 Stück. Wir haben Dutzende von Info-Ständen durchgeführt und viele Aktionen (teilweise im Stile der „Spaß-Guerilla“) und Demonstrationen veranstaltet. 1980 haben wir wesentlich zur Gründung des alternativen Mietervereins „Mieter helfen Mietern“ auf dem Dachboden der Haynstraße beigetragen.

In den Jahren 1976 bis 1989 gab es dann lediglich einige Prozesse um Mängelbeseitigung, Mietminderungen und Nebenkostenabrechnungen.

Nach dem angeblichen Ende des Mietverhältnisses 1990 begann erneut eine Kette von Kündigungen und Räumungsprozessen. Diese haben wir sämtlich gewonnen bis zu den höchsten Gerichten hinauf. Es ist den feindlichen Eigentümern bis heute nicht gelungen, den Mietvertrag zu knacken. Die zehnte Kündigungsstaffel erfolgte im Jahr 2004, die beiden letzten Räumungsprozesse haben wir im Jahr 2007 und 2008 gewonnen.

Wir haben uns in all den Jahren auf vielen Gebieten bemerkbar gemacht, nicht nur im Mieterkampf. Dies lässt sich gut an den Aufschriften der Transparente, die hier am Haus hingen und hängen, dokumentieren:

1973 Hier stehen 7 Wohnungen leer [Bild siehe unten]
1976 Solidarität mit den Mietern der Kunhardtstraße
1978 Horst, Du bist klasse!
[Nachdem wir den Vermieter gezwungen haben, Instandsetzungsmaßnahmen durchzuführen]
1980 Eigentumswohnungen hier? Wir lassen uns nicht verkaufen!
Keine Mark für AKW
Gorleben muss leben
Behörde und Spekulant Hand in Hand
Alle AKW abschalten
1985 Nicaragua libre
1990 Eigenbedarf – aber für Mieter
Wir müssen draußen bleiben! [Die Spekulanten]
Du sollst nicht begehren Deines Nächsten Wohnung
Vorsicht, bissige Mieter!
Hände weg von der Haynstraße [alternierend mit: Hände weg von der Hafenstraße]
1992 Gewonnen!
4:0 Haushohe Packung [vier gewonnene Prozesse]
1992/93
Art.16: Die Würde des Menschen ist unantastbar [Asylgesetze verschärft]
Biedermänner ermuntern Brandstifter [Hoyerswerda]
1995 25 Jahre Haynstraße. Die 9. Kündigung – Der Tanz geht weiter
1996 Gewonnen: Wir gehen ins nächste Jahrtausend
1999 Nie wieder Krieg? Bombensicher! [Kosovo-Krieg]
2004 Keine Privatisierung der Hamburger Wasserwerke
Die 10. Kündigung – Der Tanz geht weiter
2005 Haynstaße lebt! 35 Jahre „Hausbesetzung“ in Eppendorf
2010 Wir sind doch nicht bescheuerlt [die damalige Volksinitiative von Rechtsanwalt Scheuerl]
2013 Lasst das Dorf in Eppendorf [Erhalt der Fachwerkhäuser am Eppendorfer Markt]
2015 Rettet den Volksentscheid
2017 Gegen Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit
2018 Prost Berni! [zu Bernd Vetters 70. Geburtstag mit Party „Die Mietergruppe wird 45“]
2021
Keine Profite mit Boden und Miete! [Bild siehe unten]
2022 Picassos Friedenstaube [Russischer Überfall auf die Ukraine]

Wir gehörten zu den Initiatoren der beiden Volksinitiativen, die unter dem Titel  „Keine Profite mit Boden und Miete!“ liefen. Der schließlich mit dem Senat ausgehandelte Kompromiss besagt: Die Stadt Hamburg darf grundsätzlich keine Grundstücke und Wohnungen mehr verkaufen, bezüglich Wohngrundstücken hat dies sogar jetzt Verfassungsrang (Volksinitiative 1). Bezüglich der 2. Volksinitiative ist vereinbart worden, dass auf 33 % der als Wohnbaugebiete bestimmten städtischen Flächen nur noch dauerhaft mietpreisgebundene Sozialwohnungen im ersten Förderweg gebaut werden müssen, jährlich mindestens 1.000 davon.

Der organisatorische Rahmen für die Verwirklichung unserer Politik ist unsere seit Jahrzehnten sehr gut funktionierende basisdemokratische Organisation ohne formelle Hierarchien.

Das entscheidende Gremium ist die einmal im Monat tagende „Hausversammlung“, die Vollversammlung aller Mitglieder der Mietergruppe. Die laufenden Geschäfte werden von der „Zentrale“ geführt, die von allen Wohnungen bzw. Etagen im monatlichen Wechsel gebildet wird. Zur Vorbereitung der monatlichen Hausversammlung tagt jeweils die „Konzeptgruppe“, die aus der jeweiligen „Zentrale“ und einigen festen Mitgliedern besteht, aber für jedes Mitglied der Mietergruppe offen ist. Dort werden auch konzeptionelle Debatten geführt.

Weiter gibt es nach Bedarf tagende Arbeitsgruppen wie die „Geogruppe“, die „Handwerkergruppe“, die „Schaukastengruppe“ u. a..

Unsere Wertvorstellungen sind teilweise auch verbindlich in der Politischen Präambel unserer Satzung niedergelegt:

„In der Mietergruppe verbindet sich gemeinsames Wohnen (bei Entwicklung neuer Wohnformen und unter Rücksichtnahme auf die Schwierigkeiten der Gruppe und des Einzelnen) mit politischem Handeln trotz unterschiedlicher politischer Auffassung zu einem gemeinsamen Leben, das durch Solidarität, gegenseitige Achtung und soziales Verhalten gekennzeichnet ist.“

In den Jahren 2015/2016 gerieten wir in eine interne Krise. Wir begegneten dem mit zwei „Haustagen“, bei denen wir unter externer Moderation beschlossen, eine neue Satzung und ein „Selbstverständnis“ der Mietergruppe zu erarbeiten. Sowohl Satzung wie auch Selbstverständnis wurden dann im Februar 2019 einstimmig verabschiedet.

Im „Selbstverständnis“ heißt es:

„Wir stehen für gleichberechtigtes, unabhängiges, selbstbestimmtes und preiswertes Wohnen im Haus auf der Basis unseres Mietvertrages und unserer Vereinbarungen (Satzung u. a.). Wir handeln gemeinschaftlich und nach außen geschlossen. Wir haben den Anspruch, das gemeinsame Interesse der Mietergruppe Haynstraße/Hegestraße zu verfolgen und mit den Individualinteressen in der Balance zu halten. Dies ist uns – bei allen Konflikten und Verletzungen – in den letzten fast 50 Jahren ganz überwiegend gelungen. Voraussetzung dafür war und ist gegenseitiger Respekt, Toleranz, Kooperationsbereitschaft, Solidarität, Empathie und Akzeptanz.“

Weiter heißt es unter „Politische Werte“: „Wenn die ‚Politische Präambel‘, die erstmals 1978 formuliert worden ist, von Achtung und Toleranz bei unterschiedlichen politischen Auffassungen spricht, so ist dies bezogen auf die damaligen politischen Differenzen. Gemeinsame Grundhaltung war eine explizite linke Auffassung der Welt. Das bedeutete, dass die verbriefte Toleranz sich nur auf dieses linke politische Spektrum beschränkte.

Heute wird man jedoch aufgrund der persönlichen Entwicklung von Mitgliedern der Mietergruppe, der veränderten Zusammensetzung der Bewohnerschaft und aufgrund der veränderten gesellschaftlichen Verhältnisse nicht mehr von einem eindeutig linken bzw. linksradikalen Konsens wie in den Jahren 1970 ff. innerhalb der Mietergruppe ausgehen können.

Konsens ist aber nach wie vor die Auffassung, dass Mietwucher und Bodenspekulation bekämpft werden müssen, und dass es eine gesellschaftliche und soziale Notwendigkeit ist, menschenwürdigen Wohnraum zu leistbaren Preisen zu erhalten und zu schaffen. Insofern ist diese politische Auffassung ein für uns bestimmender Wert. Auf diesem Sektor wollen wir politisch aktiv handeln.

Selbstverständlich ist nach wie vor, dass sich alle Mitglieder der Mietergruppe verpflichtend an dem Kampf um den Erhalt unseres Mietvertrags und die Bewahrung unserer besonders günstigen Mietbedingungen beteiligen.

Übereinstimmende Grundlage unserer Gruppe sind aber weitere politische Werte: Wir lehnen alle rechtsextremen, faschistischen, nationalistischen, militaristischen, antisemitischen, fremdenfeindlichen Handlungen und Haltungen ab. Wir treten ein für den Schutz von Minderheiten und eine freie, basisdemokratische, rechtsstaatliche, ökologische, offene, kulturell vielfältige und soziale Gesellschaft.

Auf der Grundlage dieser zuletzt genannten Werte bietet das Haus eine Plattform für politische Diskussionen und Initiativen. Entsprechende Beschlüsse der Hausversammlung zu Transparenten, finanzieller Unterstützung, Unterschriftenlisten, Aktionen etc. können mit Mehrheit gefasst werden, verpflichten die Einzelnen aber nicht zu Aktivitäten oder eigener Beteiligung.“

Und in der Satzung heißt es:

„Wir haben in einem jahrelangen Kampf mit großem zeitlichen und materiellen Aufwand und Einsatz das Haus vor dem Abriss bewahrt. Die Mietbedingungen, die wir uns erkämpft haben, privilegieren uns außerordentlich. Diese Tatsache berechtigt uns, an das Wohnen im Haus bestimmte Bedingungen zu knüpfen, insbesondere auch, was die Mitarbeit betrifft. Wenn jemand unsere Beschlüsse nicht akzeptiert, erkennen wir dies an, sind jedoch der Ansicht, dass sie/er dann woanders wohnen sollte. Wir können unsere Gemeinschaftsvorstellungen nur hier verwirklichen, während jemand, der diese ablehnt, überall wohnen könnte. Es ist auch nicht einzusehen, dass jemand nur die Früchte unserer Bemühungen genießen möchte, ohne sich an den gemeinsamen Bemühungen zu beteiligen.“

Wir haben auch für unsere Nachfolge gesorgt. Ende 2011 bildete sich als neuer Teil der Mietergruppe die „Kinder des Hauses“, die vorrangig in leerwerdende Wohnungen einziehen und unser Projekt fortführen sollen. Dabei handelt es sich um im Haus aufgewachsene Kinder und Jugendliche, die dann nach der Schule ausgezogen sind, aber sich jetzt wieder zusammengeschlossen haben, um – geprägt auch von unseren Wertvorstellungen – wieder ins Haus einzuziehen und den Staffelstab zu übernehmen.

Wir haben aber nicht nur verbissen gekämpft, sondern auch immer gern gefeiert – und das auf einem möglichst hohen Niveau: Straßenfeste (wir sind möglicherweise in Hamburg die Erfinder der nicht kommerziellen Straßenfeste, jedenfalls gehören wir zu den ersten, die dergleichen veranstalteten, zuerst 1975), Ausstellungen, Kunstinstallationen, Öffentliche Festessen auf der Straßenkreuzung, Theater- und Opernaufführungen, Filme wurden von und über uns gedreht. Das Leben in der Haynstraße war und ist immer noch anders als in anderen Häusern.

Für viele ist unser Haus das „besetzte Haus in Eppendorf“. Und in gewisser Weise haben wir das Haus besetzt, weil die Eigentümer nicht tun können, was sie gern wollen: Uns rauswerfen und Profit machen. Dabei ist das Haus ein Beispiel für den Irrwitz der Spekulation auf dem Wohnungsmarkt. 1969 hat die IHA Hausbau es für 1,5 Mio. DM gekauft. Nachdem wir losgelegt hatten, musste sie Haus und Grundstück für 625.000 DM verkaufen. Heute dürfte der Marktwert – wenn wir nicht mit unserem besonderen Mietvertrag darin wohnen würden – bei über 30 Mio. Euro für die ca. 3.500 qm Wohnfläche liegen.

Seit über 50 Jahre leben wir, 50 Erwachsene und Kinder, hier selbstbestimmt, leisten Widerstand und entziehen das Haus der Spekulation und den ansonsten unerbittlichen Gesetzen des Marktes.

Hamburg, im Juni 2023

Für die Mietergruppe Haynstraße/Hegestraße:

Rechtsanwalt Bernd Vetter

Transparent 1973

Transparent 2021

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